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Die menschelnde Alternative Pferde sind kein Sportgerät
Zu Besuch bei der mobilen Pferdetrainerin Jennifer Mosel-Rothkamm.
g Büdche.
Neues vom Heidberg Büdche. Zu Besuch bei der mobilen Pferdetrainerin Jennifer Mosel-Rothkamm.
Neues vom Heidber
Während in großen Häusern Selbstbedie- mit diversen Fanartikeln. Im Auf dem Weg zu Jennifer Mosel-Rothkamm sports. »Ich war schockiert, als ich sah, dass sein kann. Besonders gern arbeitet sie mit
nungskassen auf dem Vormarsch sind, ist Mittelpunkt steht ein Tisch sieht man bereits im vorderen Bereich der die Gesundheit der Tiere oft völlig egal ist. herausfordernden, schwierigen Pferden.
bei Marion und Stefan Pulkenat immer Zeit mit »Motto-Wein« für beson- Köslinstraße einen Pferdeanhänger ste- Es geht immer nur ums Geld, die Pferde »Hier ist es schön, über Jahre den Entwick-
für einen kleinen Plausch am Tresen. Ge- dere Events. »Frauen können hen. Ein paar Meter weiter entdeckt man bleiben auf der Strecke.« lungsverlauf der Tiere zu beobachten.« Auf
rade weil in heutigen Geschäften Hektik hier beispielsweise spontan in einem Garten einen aufgebockten Sattel. Bei einem Praktikum beim Reitmeister Bent ihrer Internetseite bietet sie Reitunterricht in
und Anonymität herrscht, ist die Sehnsucht eine Flasche für den Mädels- Hier muss es sein, denkt man sich – und Branderup sah sie, dass Reitsport auch an- klassischer Dressur an. Als mobile Pferde-
nach dem guten alten Tante-Emma-Laden abend kaufen oder Männer liegt zweimal falsch. »Beides gehört nicht ders geht. Doch zunächst absolvierte sie trainerin betreut sie Schüler*innen in der
immens. Als die Pulkenats vor vier Jahren einen guten Wein, speziell mir«, klärt die Pferdetrainerin amüsiert auf. auf Drängen ihrer Eltern eine Ausbildung Region, die ein eigenes Pferd besitzen.
»Eckis Post Agentur« in der Stettinstraße zum Hochzeitstag.« Für Eltern Wir sitzen in ihrem Arbeitszimmer, in dem zur Reiseverkehrskauffrau. »Tja, ich sollte »Aber ich bin nicht mehr finanziell darauf
übernommen hatten, war genau das ihr gibt es den Service, direkt vor halt etwas Vernünftiges lernen«, lacht angewiesen. Heute ist es ein Nebenerwerb,
Ziel: Mit dem »Heidberg Büdche« wollte Ort neue Schulbücher zu be- sie im Rückblick. Die Arbeit im Büro der mich erfüllt. Hauptberuflich würde
man eine menschelnde Alternative zum un- stellen. Neben den Büchern war auf Dauer nichts für sie, denn die ich das nicht mehr machen wollen.« Die
persönlichen Konsumtempel bieten. gibt es dann als Bonus ein Pferdeleidenschaft ließ sie nicht los. 45-Jährige scheint nach einigen Umwegen
Inzwischen hat sich auch bei ihnen ei- Geschenk für die Kleinen. 2003 machte sie den Trainerschein, angekommen zu sein. In ihrem idyllischen
niges geändert. Während man anfangs »Wir mussten anfangs erst 2005 folgte der Schritt in die Selbst- Reihenhaus im Heidberg deutet bis auf das
den Schwerpunkt auf Lebensmittel setzte, lernen, wie die Bedürfnisse ständigkeit, als Reitlehrerin. Zeitweise Arbeitszimmer nichts auf ihre Pferdeleiden-
dominieren heute Geschenkartikel die Ver- unserer Kundschaft ausse- besaß sie sieben Pferde, die bei einem schaft hin. »Aus Rücksicht auf meinen Mann
kaufsfläche. Dazu gibt es den DHL-Shop, hen«, erklärt Stefan Pulkenat Landwirt untergebracht waren. Wich- beschränkt sich das nur auf diesen einen
ein reichhaltiges Schreibwarensortiment, offen. »Deshalb versuchen Marion und Stefan Pulkenat bieten von der Schulbox tig war ihr dabei immer die Vermitt- Raum.«
mehrere Drehständer mit Grußkarten, Zeit- wir immer etwas Neues.« Die bis zur Dosensuppe alles, was das Kundenherz lung ihrer Philosophie: Man sollte ein
schriften, Spirituosen, Bio-Honig aus der letzte Neuerung: Kund*innen erfreut. Pferd als Partner behandeln, nicht als
Region und natürlich ein Eintracht-Regal der »Wäscherei Sievert« können hier ihre sung bis zum Bahnhof fahren müssen.« Ein Sportgerät. »Immerhin wiegt es 500
Wäsche abgeben und diesbezüglicher Artikel in der Lokalpresse bis 600 Kilo. Da ist es schon gut, das
abholen. führte zudem zum Missverständnis, dass der Tier auf seiner Seite zu haben. Das
Bislang konnten auch sympathische Tante-Emma-Laden ebenfalls kann man zwar durch Druck schaffen,
Kund*innen der Post- den Betrieb einstellen würde. »Nach dem aber es ist besser, es durch Partner-
bank in der Stettinstra- Erscheinen wurden wir ständig darauf an- schaft und Vertrauen zu erreichen.«
ße ihre Geschäfte ab- gesprochen«, stöhnt Pulkenat. Doch von Doch auch ein Leben als Reitlehre-
wickeln; zumindest so einem Ende kann keine Rede sein. Das Ehe- rin ist kein Ponyhof. Die laufenden
lange, bis im Konzern paar ist ständig auf der Suche nach Ideen, Kosten für die Pferde waren astro-
beschlossen wurde, um das Büdche noch attraktiver zu machen. nomisch. Ein weiteres Hindernis: Da
fast sämtliche Filialen »Viele wissen gar nicht, was es alles bei uns die Jungunternehmerin keine eige-
in Supermärkten und gibt«, bedauert der Dachdeckermeister. Pferde bestimmten ihr Leben: ne Reithalle besaß, konnte sie selbst
Schreibwarenläden auf- »Erst neulich war eine Kundin überrascht, Jennifer Mosel-Rothkamm. im Winter nur draußen unterrichten.
zugeben. Im Heidberg dass wir Karten für Bus und Straßenbahn Dann wurden plötzlich mehrere Pferde
ist dies am 7. August anbieten.« Zwar versucht man, mit einer man an jeder freien Stelle Bilder, Fotos und hintereinander krank. Das Ende kam, als
geplant. Insgesamt Facebook-Seite auf das vielfältige Sorti- Skulpturen von edlen Vollblütern entdeckt. sie 2012 der erste Bandscheibenvorfall
sind rund 1.800 Part- ment hinzuweisen, doch oft fehlt die Zeit, »Pferde haben mein Leben bestimmt«, gibt ereilte. »Das tägliche Reiten hatte meinen
nershops der Postbank sie zu aktualisieren. Zusätzlich zum Büdche, sie zu. Das fing an, als sie als Fünfjährige Rücken vollkommen überanstrengt. Leider
davon betroffen. Die das hauptsächlich von seiner Frau und vier in einem Reitstall auf Ibiza erstmals auf bin ich da erblich vorbelastet. Durch die
Schließung sei an- Mitarbeiterinnen betrieben wird, ist er ganz dem Rücken des Ponys »Pinocchio« saß. Diagnose wurde mir der Boden unter den
gesichts anhaltender mit seiner Dachdeckerei in Rüningen aus- Ein Schlüsselerlebnis mit Folgen. »Anfangs Füßen weggezogen.«
IT-Probleme der Bank gelastet. hielten es meine Eltern für eine Spinnerei, So kam es, dass sie ihre Pferde verkaufen
»blanker Hohn« für die Zu tun gibt es weiterhin genug: Für den denn bei den meisten Mädchen erlischt das musste und 2013 ein Studium der Sozial-
Kund*innen, kritisierten hinteren Bereich des Ladens sucht man Interesse an Pferden, wenn sie in die Puber- pädagogik begann. Heute arbeitet die ge-
Verbraucherverbände. noch immer eine Physiopraxis oder eine tät kommen.« Bei der jungen Jennifer war bürtige Frankfurterin hauptberuflich im Ju-
Auch Stefan Pulkenat Fußpflegerin. Nebenan, in der ehema- das anders. Schon früh beschloss sie, ihr gendamt. Die Liebe zu den Pferden lässt sie
kann da nur fassungslos ligen Fahrschule, eröffnet demnächst ein Hobby später zum Beruf zu machen. indes noch immer nicht los. Als Systemische
den Kopf schütteln: »Be- Bistro. »Damit wird der Standort hoffentlich Obwohl sie auch an Turnieren teilnahm, Beraterin bietet sie heute Reitpädagogik so-
sonders ältere Kunden noch attraktiver«, freut sich das Paar. Mit reizte sie die Aussicht auf Pokale oder wie pferdegestützte Intervention an.
sind wütend, weil sie den Pulkenats ist auch etwas Leben in die Goldmedaillen nie. Schon damals ent- Inzwischen ist auch der Rücken so weit er-
nun für eine Überwei- Stettinstraße gekommen. deckte sie die negativen Seiten des Reit- holt, dass sie wieder als Reitlehrerin aktiv