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 2017 – es geht weiter!  50 Jahre in der Anklamstraße


 Dosenrock im KJZ Heidberg.  Alle hatten die gleiche Tapete.

 Das Kinder- und Jugendzentrum am Thü-  wir wohl erst übernächstes Jahr wieder   In der Sandkiste hinter dem Haus gab   »In der Wohnung hörte ich durch den   Lila, die Wohnungen links in Rot. »Wir
 ringenplatz  (Gerastraße  18)  war  am  machen.«  es mittig einen Strich. Links spielten die   Luftschacht oft einen Jungen. Der heulte   waren glücklich, so eine schöne Woh-
 18. März wieder Ort eines »Dosen«-  Die Bands auf der Bühne sähen gar   Mädchen, rechts die Jungs. Es war die   wie ein Wolf. Er wollte nicht gewa-  nung zu haben – mit Zentralheizung,
 Konzerts: Drei angesagte Bands stan-  nicht aus wie Teenager, stelle ich fest.   Zeit, als 31 Kinder in der Anklamstra-  schen werden«, berichtet Bärbel König   einer Essdiele mit Glaswand und einer
 den auf der Bühne und rockten live ab  Sind sie auch nicht. Die Dosenkonzerte   ße 11 bis 17 lebten – als die Kinder   (72), die 1971 einzog, lachend. Das   Abstellkammer bis zur Decke«, erzählt
 für den guten Zweck, warmes Essen  laufen  abseits  des  regulären  Betriebs,   den  rostroten  Kater Bingo  durch  die   Leben spielte sich großenteils draußen   Barbara Förster. »Im Haus war Vertrauen
 und Getränke im kuscheligen Back-  erfahre ich. »Trotzdem wird dafür ge-  Gegend trugen, draußen Kettcar fuh-  ab. Die Mülltonnen waren in Betonklöt-  untereinander. Da hatte man den Schlüs-
 stage-Bereich – NOSHED JACKSON  sorgt, dass die Jugendlichen involviert   ren und Gummitwist spielten. Und als   ze eingebaut. Das war der Lieblings-  sel der Nachbarn und setzte sich auch
 (experimentelle deutsche Rockmusik),  sind. Sie kümmern sich um den Verkauf   regelmäßig jemand aus der Schulklas-  Treffpunkt  der  Kinder:  »Sie drängelten   mal abends ans Bett vom Kind, wenn
 SODA (frischer funky Poprock mit deut-  der Getränke und erledigen Jobs im Hin-  se mit am Mittagstisch saß: »Den habe   sich aneinander, damit jeder einen Platz   die Eltern unterwegs waren.«
 schen Texten) und IF WORLDS COLLIDE  tergrund, ohne die so ein Konzert nicht   ich heute mal mitgebracht.« Ideale Vo-  bekam. Es wurde viel geteilt. Bonbons   Die gute Nachbarschaft gibt es noch
 (StonerPopMetalRock). Soundtechnisch  durchführbar wäre.« Und die Sache mit   raussetzungen für die Eltern, um schnell   wie Brote. Da wurde gleich eine ganze   heute: »Inzwischen ist hier so’n bisschen
 an diesem Abend erstklassisch betreut  der Lautstärke, frage ich. »Nein, mit der   in Kontakt zu kommen. Sieben Mieter   Schüssel mitgenommen.«  Rentnershausen. Man kennt fast jeden
 von Michael Ladebusch am Mischpult.  haben wir kein Problem«, sagt Wrede.   kennen sich nun bereits seit 50 Jah-  In der Grundschule gab es 1970 zehn   vom Sehen und hilft sich. Es ist einfach
 Der Besucher zahlt am Eingang mit einer  »Die Polizei ruft einfach an, wenn es zu   ren. So lange leben sie in ihren Woh-  erste Klassen! »Unsere Kinder waren   schön«, so Gertrude von Spiczak. Im
 Konservendose pro Kapelle oder, falls  laut wird. Wir sind ja Nachbarn.«  nungen. Ein Blick zurück.  alle ungefähr gleich alt«, erzählt Gertru-  Advent treffen sich immer rund 30
 kurzentschlossen,  eine  Spende  in bar  Und was bietet das Jugendzentrum sonst   Barbara Förster (78) und Gertrude   de von Spiczak. Und ergänzt schmun-  Nachbarn im Fahrradkeller. Blechlater-
 für »virtuelle« Konserven. Fertiggerichte,  noch? »Wir sind eine Einrichtung der   von Spiczak (79) gehörten im Herbst   zelnd: »aber ohne uns abzusprechen«.   ne vor der Haustür, im Keller Lichterket-
 Gemüse- und Obstkonserven – alles ist  offenen Tür. Ohne Anmeldung können   1966 zu den Erstbeziehern der neuen   So kamen die Eltern schnell ins Ge-  ten, Kekse und Glühwein. Dazu lesen
 willkommen und wird der ökumenischen  Kinder und Jugendliche zu uns kommen.   Häuser am Wald. »Als wir im Heid-  spräch. Bald gingen viele von ihnen zu-  sie Geschichten vor und singen.
 Suppenküche der Stephanus-Gemeinde  Wir haben einen Musikübungsraum mit   berg einzogen, waren rundum Felder.   sammen zum Sport. »Eine Turnhalle gab   (Text: Michael Völkel)
 in der Halberstadtstraße gespendet. Un-  offenem Instrumentenpool, wo jeder sich   Brachland und ein Erdbeerbeet in einer   es nicht. Deswegen waren wir in der
 terstützt wird das Jugendzentrum bei den  ausprobieren kann.   NOSHED JACKSON steht für experi-  Kieskuhle. Sie müssen sich das ganze   Kirche. Die Stühle wurden weggeräumt.
 Dosenkonzerten vom Label »Kernkraftrit-  Wir haben einen Multifunktionsraum   mentellen Rock.  Einkaufszentrum wegdenken. Zum Ein-  Wir machten Gymnastik vor dem Altar.«
 ter Records«, tendenziell sind die Bands  mit einer originalen Kinoleinwand und   kaufen gab es nur einen Konsum-Markt   Ab 1974 spielten sie zusammen  Vol-
 auf der Bühne also im Metal-Bereich zu  dementsprechenden Lautsprecherboxen,  Und wenn man selbst mit seiner Band   in einer Baracke. Regelmäßig kamen   leyball und gingen anschließend in
 finden. Heute ist eine Ausnahme.  einen Computerraum mit guten Rechnern  beim Dosenkonzert mitmachen will?   Lastwagen, die an einem Tresen Obst   eine der vielen Kneipen. Sie erinnern
 »Dosenkonzerte gibt es bei uns schon  für z. B. Videobearbeitung, einen tollen,  »Dann bewirbt man sich unter info@  und Eier verkauften«, erzählen sie. Der   sich auch noch gut an die dreitägigen
 seit sechs Jahren, jedes Vierteljahr«,  großen Garten mit eigenem Gemüse  kjz-heidberg.de  und wir  reichen  das   Eierverkäufer hatte eine Glocke. »Un-  Schützenfeste. Einmal tanzten sie so
 sagt Holger Wrede, der Leiter des Ju-  und Hochbeet, die Grillhütte, einen ei-  weiter. Ansonsten einfach auf die home-  ser Sohn rief immer: Bimbim, Eier«, so   ausdauernd, dass die Holzdiele im Zelt
 gendzentrums. »Und jeden Monat ein  genen Swimmingpool und Hängesitze  page gehen und schauen, was läuft:   Barbara Förster. Die großen Sandhau-  durchbrach.
 normales Konzert. Dazu das große  in den Bäumen. Dazu vieles mehr.   kjz-heidberg.de«  fen waren für die Kinder ein Abenteu-  Die Miete der Drei-Zimmer-Wohnung
 Open-Air letztes Jahr zusammen mit dem  Das Jugendzentrum wird sehr gut ange-  (Text: Bernd Reiners,   erspielplatz: »Die Jungs fanden alles,   kostete beim Einzug 180 Mark. Wit-
 Jugendzentrum Roxy in der Südstadt, das  nommen.«  Fotos: Holger Wrehde)  was dreckig war, super.« Bevor sie   ziges Detail: Alle hatten die gleiche Ta-
          ins Treppenhaus durften, mussten sie   pete – mit Häusern, Blättern und Frauen
 Rockten das KJZ: SODA bietet Poprock mit deutschen   IF WORLDS COLLIDE hat den Anspruch verschie-  dann erst mal die Hose ausziehen.   in Tracht – die Wohnungen rechts in
 Texten.  denste Subgenres zu kombinieren.
          Gute Nachbarn: (v.l.) Bärbel König, Barbara Förster und Gertrude von Spiczak.
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