Page 11 - Südlicht 2020-4
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          Der Alleskönner


          Seit über zwanzig Jahren in Melverode: Raumausstattung Scheer.

          Jörg-Harald  Scheer  ist  so  etwas  wie   und lernte dabei sein Handwerk von der   doch nachhaltiger ist als Fließbandware
          ein Alleskönner: Er polstert Sessel und     Pike  auf.  1991  folgte  die  Meisterprü-  aus dem Baumarkt. Scheer ist stolz auf
          Sofas, bespannt Wände und Decken   fung 1991. »Im Grunde sind es mehrere   seine Arbeit: »Wir nähen alles selbst.«
          mit hochwertigen Stoffen, bringt Vorhän-  Berufe, die zusammengefasst wurden.   Jeder  Quadratmeter  seines  Ladenge-
          ge, Jalousien und Insektenschutz an. Als   Es dauerte viele Jahre, bis ich mir alles   schäfts ist optimal genutzt. Stoffe und
          gelernter Raumausstattermeister gehört   angeeignet hatte«, erinnert er sich heute.   Musterbücher füllen die Regale. Für
          so etwas für ihn zum Tagesgeschäft.   Lange  Zeit  arbeitete  Scheer,  der  aus   ganz anspruchsvolle Kunden hat er
          Mit zwei Mitarbeiterinnen betreibt er   dem Heidberg kommt, in Fachgeschäf-  sogar Metall- und Porzellantapeten zur
          seit mittlerweile über zwanzig Jah-  ten und Fachmärkten, bis er einen leer   Auswahl. Kostenpunkt: 200 bis 300
          ren ein Ladengeschäft in Melverode.     stehenden Kiosk an der Leipziger Straße   Euro pro Quadratmeter. Begehrt sind
                                                                               auch  Wandbespannungen  aus  kost-
                                                                               barer Seide. Doch solche Wünsche sind
                                                                               relativ selten.
                                                                               Hinter  dem  Haus  befindet  sich  seine
                                                                               Werkstatt. Hier wird gepolstert, restau-
                                                                               riert, genäht und geschneidert. Selbst-
                                                                               verständlich alles in Handarbeit. Wer
                                                                               das alte Sofa der Großmutter wieder
                                                                               flottmachen will, ist bei Scheer genau
                                                                               richtig: »Früher war das Material der teu-
                                                                               erste Posten, heute ist es die Arbeitszeit.
                                                                               Das stilgerechte Polstern eines Ohrenses-
                                                                               sels dauert etwa 40 Stunden.« Anhand
                                                                               von Fotos kann er den aufwändigen
                                                                               Prozess erklären.
                                                                               Zu  seinen  Kunden  zählen  nicht  nur
                                                                               Menschen aus der Nachbarschaft,
                                                                               sondern auch das Schlossmuseum in
           Raumausstatter Jörg-Harald Scheer in seiner Werkstatt.              Braunschweig und Wolfenbüttel oder
                                                                               das Landeskrankenhaus in Königslutter.
                                                                               Doch auch Sonderwünsche wie Polster
          »Früher waren es sogar fünf Mitarbei-  entdeckte.                    für die Kajüte eines Segelbootes werden
          ter«, erzählt er, »doch heutzutage ist   Seitdem hat er sein Geschäft immer wie-  gern umgesetzt. Das einzige Problem in
          es schwer, gute Leute zu bekommen.«   der modernisiert und erweitert.   Corona-Zeiten sind lange Lieferzeiten für
          Baumärkte  und  Billiganbieter  haben   Werbung macht er heute nicht mehr.   Stoffe aus südlichen Regionen.
          der einst florierenden Branche arg zu-  »Ich lebe von der Mundpropaganda«,   Ein ganz spezielles Projekt befindet sich
          gesetzt.                          sagt er. »Früher waren die typischen   fast versteckt, in einer Ecke des Raumes:
          Schon früh wusste Scheer, dass er in   Kunden eines Raumausstatters gut situ-  Ein wuchtiger Sessel, der in den Farben
          einem kreativen Beruf arbeiten wollte.   ierte Menschen ab 50. Das hat sich   Eintracht Braunschweigs gepolstert wur-
          Anfangs  überlegte  er,  Grafikdesigner   gründlich geändert.« Auch junge Leute   de – mit riesigem Vereinswappen auf
          zu werden. Doch 1982 machte er die   haben mittlerweile erkannt, dass Quali-  der Rückenlehne. »Die Hoffnung stirbt
          Gesellenprüfung zum Raumausstatter   tät zwar ihren Preis hat, im Endeffekt je-  zuletzt«, schmunzelt Scheer.
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